14
Im Großen Haus zog Paxero den Taschenspiegel von Tante Benitas geöffnetem Mund und schaute ihn an. Er war kein bißchen angelaufen. Er rieb sich das Kinn. Sie sah wie tot aus. Er konnte keinen Puls fühlen, es fehlte jedes Anzeichen von Leben. Aber Crosier war ein guter Arzt, und er hatte behauptet, es wäre ein Koma. Paxero hatte gelesen, daß Menschen, die in einem tiefen Koma lagen, für tot erklärt worden waren. Vielleicht war es mit Tante Benita noch nicht zu Ende.
Nichtsdestoweniger …
In einem plötzlichen Entschluß hob er das Haustelefon ab und drückte einen der Knöpfe. «Sinclair, ich möchte sofort alle Spezialen und die dienstfreien Aufseher bei mir in der großen Halle haben. Voll bewaffnet. Kommando zurück! Laß zwei Speziale in den Unterkünften. Sie sollen sich um die Mestizinnen kümmern, wenn ich das Kommando gebe. Ja, es kann sein, daß wir dichtmachen.»
Draußen auf der Plantage, an der Westseite der Hauptstraße, sah Marker Teresa herankommen. Er hatte den Lastwagen vorbeirasen gehört. Er ahnte, was das bedeutete und hatte schon den Holzstiel der Hacke gelockert. Das Stielende, das bis jetzt in dem Metallschaft der Hacke verborgen gewesen war, hatten sie scharf angespitzt und durch Glühen gehärtet. Teresa trottete in der den Sklaven eigenen Gangart heran. Sie war jetzt ganz Schauspielerin. Die Kameras waren auf sie gerichtet, während sie die wichtige Meldung überbrachte. Als sie an dem Zweitdarsteller Marker vorüberkam, zischte sie, ohne die Lippen zu bewegen:
«Los jetzt.»
Marker nahm seinen Korb auf, die Hacke unter den Arm geklemmt. Er ging genau hinter dem Mädchen.
Mr. Sam blickte Teresa nur kurz an und kümmerte sich dann nicht weiter um sie. Sie gehörte nicht zu seiner Abteilung. In sechs Schritt Entfernung ließ Marker den Korb fallen und stürmte los. Der Aufseher hatte noch gar nicht registriert, daß etwas nicht stimmte, da stieß ihm Marker den gehärteten Speer mit aller Kraft durch den Körper.
Teresa hörte das schnaufende Röcheln und das Fallgeräusch. Sie wirbelte herum, auf die Nahaufnahme vorbereitet. Kurzes Entsetzen, dann unnachsichtiges Sich-Abfinden mit der brutalen Wirklichkeit. Marker zog den Karabiner aus dem Sattelhalfter, die Pistole aus dem Gürtel des Toten. Jetzt wurde es eine Zweierszene, als Teresa hinzutrat und die Zügel des nervös werdenden Pferdes ergriff. Mit der kehligen Stimme, die einst Millionen gekannt hatten, deklamierte sie: «Geh zum Trockenschuppen und kümmere dich dort um den Aufseher. Und bleib ruhig, Marker.»
Schade, daß er den behelfsmäßigen Speer aus dem Toten gerissen hatte und schon losgelaufen war, lange bevor ihre Passage zu Ende war. Diese Szene würde man wiederholen müssen. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie Mr. Sam auf dem Rücken liegen, das Hemd gräßlich blutverschmiert, und dachte, daß der Maskenbildner gute Arbeit geleistet hatte. Sie drehte sich um, schürzte den Rock und schwang sich in den Sattel.
Starr vor Schreck blickten ihr die Sklaven entgegen.
Sie winkte ihnen zu, das Pferd hin und her lenkend, bedeutete ihnen, zu ihr zu kommen und sich um sie zu versammeln.
Hart, der flachsblonde Texaner, grollte mit tiefer, rauher Stimme: «Um Gottes willen, ist Marker verrückt geworden? Sie werden ihn aufhängen. Sie werden die ganze Gruppe auspeitschen.»
Teresa setzte sich gerade, legte die Hände auf den Sattelknopf, blickte langsam rundum in den Halbkreis entsetzter Gesichter. «Hört mir einmal aufmerksam zu», fing sie an. Und obgleich ihre Stimme nicht laut klang, war jedes ihrer Worte glockenklar zu verstehen. «Miss Benita ist tot. Limbo hat aufgehört zu bestehen. Sie werden uns innerhalb der nächsten Stunden alle umbringen, wenn wir uns nicht retten. Deshalb haben sich ein paar von uns auf diesen Augenblick vorbereitet. Also seid vernünftig und hört mir ruhig zu, wenn ich euch jetzt sage, was zu geschehen hat.»
Der Landrover wendete, bog in die Hauptstraße ein und donnerte nach Norden zurück zum Großen Haus.
Als er den Punkt erreichte, wo die oberen Fenster und der Giebel des Hauses hinter der langen Bodenwelle verschwanden, tauchte zwischen den Baumreihen eine weißgekleidete Gestalt mit einem Pferdewagen auf, überquerte langsam die Straße und versperrte die Durchfahrt.
Der Speziale am Steuer fluchte wild und trat auf die Bremse. Die Hupe war abgestellt, denn Miss Benita duldete in Limbo keine Hupen. Als der Wagen schlitternd und scharrend zum Stehen kam, brüllte Damion:
«Mach Platz, du dumme Kuh!»
Kim Crosier auf dem Beifahrersitz beobachtete Modesty. Mit angespannten Nerven erkannte er plötzlich, was sie mit ‹Stichfurcht› gemeint hatte: Die natürliche Angst, die einen im Augenblick des Handelns zurückhält. Gegen das Dröhnen des Motors versuchte sie, sich bemerkbar zu machen, trat noch näher heran, passierte den Kotflügel auf der Seite des Fahrers, blickte Damion an, wild gestikulierend. Einen Augenblick glaubte Kim deutlich zu hören, wie sie kauderwelschte oder in einer ihm unbekannten Sprache redete. Damion fragte wütend: «Was?» Dann war sie am Fahrer vorbei. Und als der Mann den Kopf nach ihr umwandte, schüttelte Kim die Lähmung der Furcht ab, streckte die Hand vor und stellte den Motor ab.
Modesty holte mit dem rechten Arm aus, und die kleine hölzerne Hantel sauste hinter das Ohr des Fahrers.
Damion reagierte schneller, als sie kalkuliert hatte, viel schneller. Der Fahrer brach noch über dem Steuerrad zusammen, da war Damion schon hoch, beugte sich zurück zur anderen Wagenseite hin, seine Hand fuhr blitzschnell unter das dünne Jackett, sein Gesicht war zur Grimasse verzerrt.
Die Hand auf der Wagentür, schnellte Modesty hoch, drehte sich über ihren Arm, ihr Körper streckte sich zu voller Länge, und ihre Absätze krachten in Damions Gesicht und Kehle, kaum daß er die Pistole heraus hatte. Er wurde vom Wagen geschleudert, sauste kopfüber mit gekrümmtem Rücken nach hinten. Als er auf dem Boden aufschlug, kam Modesty im Fond des Landrovers zum Stehen. Sie griff nach vorn, nahm das Gewehr aus der Halterung des Fahrers und sagte: «Ich möchte sie für die nächsten Stunden außer Gefecht haben, Kim.»
«Ich habe alles vorbereitet.» Er öffnete seine Tasche, seine Hände bebten.
«Was ist mit eurem Aufseher?»
Sie sprang vom Landrover herunter. «Hier.» Danny und Bisseau tauchten aus der Deckung der Bäume auf, zwischen sich schleppten sie den gebundenen Körper von Mr. Joe. Bisseaus breites Gesicht war eine bleiche Maske, aber er preßte die Zähne zusammen und kämpfte gegen die Furcht an, die ihn gepackt hatte. Sie hoben den Aufseher auf die Ladefläche. Kim öffnete eine Schachtel Ampullen. Danny sagte: «Um Mr. Sam brauchst du dich nicht zu bemühen. Marker hat ihn umgebracht. Wir wissen noch nicht, was mit Mr. Brad bei den Trockenschuppen los ist.»
Kim füllte Chlorpromazin in die Injektionsspritze.
«Ich glaube, wir können aufhören, sie Mister zu nennen.»
«Ja, die Macht der Gewohnheit.» Danny versuchte ein Lächeln, um seine beinahe schmerzhafte Spannung abzubauen. Modesty erhob sich. Sie wies auf den hingestreckten Körper Damions und rief: «Den hier brauchst du auch nicht einzuschläfern, Kim.»
«Das hätte ich nicht gedacht. Genick?»
«Ja. Ich muß heftiger gewesen sein, als ich vorhatte.»
Sie hob Damions Pistole, eine 357-Smith & Wesson-Magnum, auf und suchte dann im Landrover herum.
«Sagtest du nicht, daß die Spezialen immer Ersatzmagazine für ihre Automatics bei sich haben?»
«Ja, in einer Halterung außen.»
«Sie ist leer. Na ja, nun … na gut.» Sie nahm das Browning-Automatic-Gewehr von den Sitzen. Ob man ein Zwanziger-Rundmagazin oder vielleicht drei oder vier davon besaß, bedeutete möglicherweise die Entscheidung darüber, ob man eine kleine Gewinnchance oder keine hatte. Modestys Miene verriet kein Anzeichen dieser niederschmetternden Enttäuschung.
Danny sagte: «Hier hinten ist eine Machete.»
«Sehr gut.» Sie raffte ihren Rock hoch. «Schneide mir das Ding kurz. Es hat mich eben behindert. Und wir sind schon mehr als genug im Nachteil. Bisseau, hilf Kim und Danny, den Spezialen in den Wagen zu heben.»
Bisseau sah sie an. «Und wie geht es jetzt weiter?»
Sie drehte sich im Kreis, während Danny an ihrem Rock entlangschnitt. «Kim nimmt die drei mit in seine Praxis und hält sich für Verwundete bereit. Für unsere, nicht ihre. Wir begeben uns an den Nordrand der Pflanzung. Von dort aus können wir das Haus unter Beschuß halten. Von der kleinen Mauer aus, auf der das Bewässerungsrohr verläuft. Valdez ist schon dort und wartet auf uns. Es dürfte nicht lange dauern, bis Paxero etwas unternimmt. Er wird sich ohnehin schon Gedanken machen.»
Bisseau half Kim, Damions Körper hochzuheben.
«Und dann?»
«Wir haben jetzt schon ein paar Waffen. Die reichen aus, sie im Haus festzunageln.» Bisseau schob Damions Beine in den Laster und rieb sich die Stirn ab. «Und dann?»
Modesty löste die Pistolengürtel des Spezialen und des Aufsehers. «Das erfährst du noch», antwortete sie.
Valdez lag hinter der 25 Zentimeter hohen Mauer und beobachtete das große Haus in 200 Meter Entfernung.
Ein dreizölliges Rohr, das mit Klammern befestigt war, führte auf der Mauer entlang und brachte das Wasser zu dem großen Tank, von wo es durch Schwerkraftdruck zu den Pflanzungen geleitet wurde. Valdez spähte durch den Spalt zwischen Mauer und Rohr und fühlte sich sehr allein.
Vor ein paar Minuten, als die Spezialen, jeder mit einem automatischen Gewehr, ihre Unterkünfte verließen, hatte ihn blanke Panik ergriffen. Es war seine Aufgabe, sie wenn nötig aufzuhalten, bis Modesty und die anderen mit weiteren Waffen zur Stelle waren. Seine Chance, länger als zwei oder drei Minuten zu überleben, war gleich Null, das wußte er. Der Revolver war nutzlos, außer auf ganz kurze Entfernung. Er hatte in Nord- und Südamerika Kleinwild gejagt und hielt sich für einen recht guten Schützen. Aber er bezweifelte, daß der M2-Karabiner zielgenau war.
Als die Spezialen sich geradewegs in das Große Haus begaben und nicht zur Plantage, hätte er vor Erleichterung fast in die Hose gemacht. Nun hatte ihn eine eigenartige Ruhe überkommen, während die Minuten vorbeistrichen. Es war nur eine kurze Gnadenfrist, dachte er. Bald würde er ein toter Mann sein. Nun, was tat das schon. Er hatte nicht viel zu verlieren, und wenigstens würde er ein paar von denen da mitnehmen. Der Gedanke daran stimmt ihn fast fröhlich.
Einen halben Kilometer weiter duckte sich Marker hinter einem Strauch, einen Steinwurf von den Schuppen entfernt. Bittere Enttäuschung kochte in ihm. Der Aufseher, Mr. Brad, mußte etwas gemerkt haben und war mißtrauisch geworden. Er war vom Pferd gestiegen und hatte die ganze Abteilung an dem großen Schuppen Aufstellung nehmen lassen, die Gesichter zur Wand, die Hände erhoben und an die Holzwand gelegt. Den Karabiner hatte er von der Hüfte aus auf die Sklaven angelegt. Beunruhigt blickte er sich um.
Seit zwei Minuten überlegte Marker fieberhaft, wie er dicht genug an den Aufseher herankommen könnte, um ihn auszuschalten. Er besaß zwar den Karabiner und die Pistole von Mr. Sam, aber ein Schuß würde sofort eine Reaktion im Großen Haus auslösen. Und Valdez war jetzt sicher noch allein an seinem Platz.
Marker biß sich auf die Lippe, ließ die Waffen liegen und stand auf. Langsam ging er weiter. Er humpelte stark und stützte sich auf den Hackenstiel.
Mr. Brad sah ihn und rief ihm entgegen: «Was machst du hier, Mann?»
«Ein Unfall, Mr. Brad!» Marker humpelte weiter. Er blickte zu Schultz an der Schuppenwand, der seinen Kopf halb herumwandte und ihn über die Schulter beobachtete. Mr. Brads Karabiner schwenkte langsam von den Sklaven auf Marker, dann wieder zurück zum Schuppen. In zwanzig Schritt Entfernung rief er: «Du stellst dich auch an den Schuppen, Mann!»
«Ich habe eine Meldung für Sie, Mr. Brad!» rief ihm Marker verzweifelt entgegen und humpelte weiter.
«Mr. Sam schickt mich.»
Der mißtrauische Blick des Aufsehers heftete sich nun auf die blutige Spitze des Hackenstiels. Seine Augen weiteten sich. «Was ist das? Was ist das für Blut?»
«Ein Unfall. Mr. Sam schickte mich, ich soll es Ihnen sagen», hörte sich Marker stammeln. Er wußte, er war erledigt. Der Karabiner zielte nun auf ihn. Zehn Schritte. Er würde es nie schaffen. Aber er kannte seine Kraft. Und wenn die Kugel keine lebenswichtigen Körperteile traf, konnte er immer noch den Schwarzen niederwerfen und Schultz eine Chance, eine ganz kleine Chance, geben.
Mr. Brad drohte: «Komm noch näher, und ich schieße, Mann.» In seiner Stimme schwang Panik, seine Augen flackerten. Marker bewegte sich weiter, spannte sich zur letzten Anstrengung, bereitete sich auf den Aufschlag des Geschosses vor. Irgendetwas glitzerte in der Luft, schräg oben zwischen ihm und dem Aufseher. Er hörte das Geräusch eines dumpfen Aufpralls und starrte verwirrt auf das schwarze Ding, das plötzlich aus Mr. Brads Brust hervorsprang und dort herausragte wie …
Wie das Heft eines Messers.
Mr. Brad knickte zusammen. Instinktiv warf sich Marker nach vorn und fing den Karabiner auf, der aus den kraftlosen Händen des Aufsehers fiel. Der Mann stürzte, sein Atem rasselte, ein kurzes Röcheln, dann war er still. Marker drehte sich um, völlig verständnislos, und sah einen Mann im dschungelgrünen Tarnanzug vom Giebel des Schuppendachs springen. Es war ein großer Mann mit blondem Haar, das unter einer grünen Jockeymütze hervorlugte. Er war sauber rasiert, trug einen Karabiner auf dem Rücken, Munitionstaschen an der Brust, ein Päckchen an der Hüfte und ein Fernglas über der Schulter.
Er sprach mit ruhiger Stimme und starkem Cockney-Akzent. «In Ordnung. Alle die Hände runter und kein Laut.» Er trat auf Marker zu, deutete mit dem Daumen zum Dach, wo er sich versteckt hatte.
«Ich habe gerade gesehen, wie Modesty Blaise sich ein paar von den Kerlen in einem Laster vornahm. Ich nehme an, irgendeine Bombe ist hier hochgegangen.»
Marker holte tief Luft und sagte mit heiserer Stimme: «Garvin? Sie sind Garvin?»
Der große Mann nickte, bückte sich, um das Messer aus der Leiche zu ziehen, wischte es ab und steckte es in die Halterung unter dem offenen Jackett.
Schultz kam heran, seine Frau an der Hand. Die anderen Sklaven starrten verständnislos, einige mit aufkeimender Hoffnung, andere voll banger Furcht.
Schultz fragte: «Miss Benita ist tot. Es geht los, ja, Marker?»
Willie Garvin unterbrach ihn. «Einen Augenblick. Sagen Sie mir erst, was Modesty Blaise vorhat.»
Marker bemühte sich, seine Gedanken zu sammeln.
«Sie will mit einem oder zwei anderen auf die Anhöhe. Sie will dort mit den Gewehren, die wir inzwischen besitzen, in Stellung gehen.» Er blickte Schultz an. «Teresa bringt die anderen beiden Abteilungen hierher. Du sorgst dafür, daß sie hier ruhig in den Schuppen bleiben.» Er streckte den Zeigefinger vor. «Sie braucht Gasparro als Meldegänger, und Stavros soll ein Gewehr …»
Von Norden her erklang plötzlich Geknatter von Kleinfeuerwaffen. Willie Garvin begann zu laufen.
Modesty Blaise war gerade angekommen, eine Minute bevor die Spezialen aus dem Großen Haus kamen und sich zur Pflanzung begeben wollten. Nun lag sie eng an die flache Mauer gepreßt, der Lauf des Schnellfeuergewehrs ruhte zwischen Mauer und Rohrleitung. Bisseau lag neben ihr mit dem Colt. Fünfzig Meter weiter an der Mauer befand sich Danny Chavasse mit Valdez. Ihr erster Schuß verfehlte sein Ziel um ein paar Zentimeter und traf nur den Gewehrkolben des Mannes. Der nächste, bei dem sie die Abweichung berücksichtigt hatte, traf ins Schwarze. Valdez erwischte mit seinem zweiten Schuß einen Mann an der Schulter. Ein paar von den Spezialen warfen sich hin, die anderen huschten in Deckung.
Ein wilder Feuerstoß durchsiebte die Bäume hinter ihr. Sie gab Valdez ein Zeichen, das Feuer einzustellen.
Sie hatten jeder nur ein Magazin. Ein Landrover rollte hinter dem Haus hervor, und drei Männer sprangen heran und benutzten ihn als Deckung. Der Fahrer hatte sich geduckt und war außer Sicht.
Resigniert erkannte sie, daß der Kampf, kaum begonnen, bald verloren sein würde. Marker und Stavros hätten längst hier sein müssen, jeder mit einem Karabiner und einem Revolver zur Verstärkung ihrer Feuerkraft. Bisseau, der sie anschaute, sah, wie ihre Augen plötzlich Funken sprühten. «Gib mir den Colt und nimm mein Gewehr», wies sie ihn an. «Ich will mich ein Stück nach rechts bewegen. Warte, bis der Wagen ganz dicht heran ist, dann halte sie nieder. Ich komme dann von der Seite und schieße sie mit dem Colt zusammen. Wir können gut noch ein paar Automatics mehr gebrauchen …»
Sie unterbrach sich, hob lauschend den Kopf, als ein regelmäßiges «Jap-jap-jap» erklang, das Geräusch einer Schnellfeuerwaffe, die Einzelschüsse feuerte, aber aus großer Entfernung. Von Osten her, von irgendwoher auf der hohen Berglehne jenseits des Flusses.
Der Landrover taumelte schwerfällig und starb ab.
Die drei Männer, nun deckungslos, drehten sich um und rannten. Jap, jap. Der eine ging zu Boden wie ein Sack, die zwei anderen verschwanden hinter der Westecke des Großen Hauses. Die anderen Spezialen hatten sich schon nach drinnen zurückgezogen.
Für einen kurzen Augenblick legte Modesty ihren Kopf auf den Gewehrkolben und ließ sich von einer Welle der Erleichterung und Freude durchfluten. Der unvergleichliche Garvin war angekommen, zwei Tage vor ihren kühnsten Erwartungen.
Bisseau fragte zitternd: «Wer …?»
Sie hob den Kopf und lächelte. «Ein alter Freund, von draußen.»
«Hallo, Prinzessin!» Sie fuhr hoch, als sie seine Stimme, die von hinten kam, hörte. Ihr Kopf fuhr herum, und sie sah ihn auf sich zurobben. Er deutete mit dem Finger zur Seite, die Baumreihe entlang, und sie sah Marker, der mit einem Karabiner herankroch, um sich Valdez und Danny Chavasse anzuschließen. Hinter Willie folgten zwei weißgekleidete Gestalten, Stavros, ebenfalls mit einem Karabiner, und Gasparro.
Willie legte sich neben sie und nahm seine Stoner 63 ab. «Das war Maude.» Er wies mit dem Kopf über den Fluß. «Wir sind gestern nachmittag ein paar Stunden vor Sonnenuntergang hier angekommen.»
«Hallo, Willie, Liebling, willkommen in Limbo!» Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm sie und drückte ihre Finger kurz an seine Wange.
«Da hast du dir aber ein feines Plätzchen ausgesucht.» Er rollte sich herum, um sie genauer betrachten zu können. Er war glücklich und erleichtert, seit er sie gestern im Fernglas gesehen hatte und die Last von Befürchtungen und Verantwortung von ihm gewichen war. «Du schaust aus wie Aschenputtel im Märchenspiel», lächelte er, sich über den zerfetzten Minirock amüsierend.
«Durch welche Hintertür hast du dich denn hereingeschlichen?»
«Ich bin kurz vor Tagesanbruch über den Fluß gekommen. Maude ließ ich drüben an einer günstigen, beherrschenden Position zurück. Ich hatte vor, noch versteckt zu bleiben und bei nächster Gelegenheit Kontakt aufzunehmen, aber dann nahmen die Dinge hier ihren Lauf.»
«Ja, ich werde dir später alles erklären. Wir wollen jetzt von hier abrücken und in der Wäscherei Stellung beziehen.» Sie deutete mit dem Kopf zur Nordwestecke der Pflanzung, dorthin, wo Danny, Marker und Valdez lagen. «Auf diese Weise haben wir das offene Gelände im Kreuzfeuer. Hast du Verbindung zu Maude?» Er hielt ein schwarzes Röhrchen hoch, etwa zehn Zentimeter lang und daumendick. Von dem einen Ende hing ein Kabel mit einem Ohrhörer. «Sie wird schon auf Empfang sein.»
«Erkläre ihr, was wir vorhaben. Sie kann das offene Gelände decken, während wir uns bewegen. Und richte ihr tausend Dankeschön aus.»
Willie steckte gerade den Hörer ins Ohr, als von irgendwoher vor ihnen das gedämpfte Geräusch mehrerer Schüsse erklang. Dann folgten weitere, ganz unregelmäßig. Vorsichtig hoben sie die Köpfe und lugten durch den Zwischenraum zwischen Mauer und Rohr.
Drei Mestizinnen stürmten aus den Spezialen-Unterkünften, die eine taumelte und hielt sich die Seite. Die beiden anderen schrien und rannten weiter.
Zwei Männer waren hinter ihnen her. Dann kam ein Feuerstoß, und die Mädchen stürzten zu Boden. Willie schob seine Stoner durch den Zwischenraum und erschoß einen der Männer. Den anderen sah Modesty durch den Zwischenraum, als er schräg vor ihr davonrannte, und ihre Kugel riß ihm die Mütze vom Kopf.
Dann verschwand er hinter der Wand des Großen Hauses.
«Diese Schweine! Jetzt haben sie gerade ihre Mädchen abgeschlachtet.» Modesty stieß es wütend hervor.
Willie nickte. Er hatte gestern zwei Stunden lang Limbo durch das Fernglas beobachtet und sich ein recht klares Bild von den Verhältnissen gemacht. Er drückte einen Knopf auf dem Röhrchen und sagte: «Maude, du hast gut geschossen, Liebes. Ja, ich habe Verbindung aufgenommen. Wir liegen hier in Deckung hinter der Bewässerungsmauer und bewegen uns gleich weiter zu dem Gebäude an der Nordwestecke. Halte sie nieder, wenn sie rauskommen, aber verschwende keine Munition.» Er wartete ihre Antwort ab und fuhr dann fort:
«Ja, schön, sie sendet dir die ihren und läßt dir zehntausendmal Dankeschön ausrichten. In zehn Minuten rufe ich wieder.»
In dem großen Schuppen saßen die Sklaven in mehreren Reihen hintereinander und hörten Schultz zu, der auf einer Lattenkiste an der einen Längswand stand. Er sah müde aus, gequält, was man von ihm nicht gewohnt war.
Früher, in der Welt draußen, war Schultz ein Stahlmagnat gewesen. Hier in Limbo hatten er und seine Frau es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht, so etwas wie Frieden zu wahren. Frieden zwischen den Sklaven und zwischen den Sklaven und ihren Herren. Im großen und ganzen – vor allem dank der intensiven Hilfe Kim Crosiers – hatten ihre Bemühungen Erfolg gehabt.
Sie mußten von Duldsamkeit, Gehorsam und Ergebenheit predigen, und sie mußten eine ganz neue Art von Gemeinschaft schaffen. Aber jetzt plötzlich hatte sich in Limbo alles verändert. Schultz fühlte sich verwirrt und überfordert. Doch es war seine Aufgabe, eine Panik zu verhindern. Modesty hatte zu ihm gesagt: «Halte sie uns vom Leibe, Schultz. Am letzten Tag hier in Limbo ist nichts so wichtig wie das!»
Schultz hatte entsetzliche Angst zu versagen. Er warf seiner Frau einen hilfesuchenden Blick zu, sah ihr schnelles, ermutigendes Nicken und fuhr verbissen in seiner Ansprache fort: «… In dieser Lage befinden wir uns also, Freunde. Wenn Miss Benita stirbt, sollte Limbo aufhören zu bestehen, zusammen mit uns allen.
Aber vor ein paar Wochen kam Modesty hierher, um dafür zu sorgen, daß es nicht so geschieht. Ich glaube, wir haben alle ziemliche Angst. Ich jedenfalls ganz bestimmt. Es ist schade, daß wir den anderen nicht helfen können. Aber, wie Modesty sagt, man kann mit Kaffeebohnen nicht gegen Gewehre kämpfen. Alles, was uns zu tun übrigbleibt, ist abwarten … und beten.»
Die Kirchengruppe in der einen Ecke hatte bereits damit angefangen. Die Stimmung der übrigen Sklaven schwankte zwischen fiebernder Aufregung, lähmender Verwirrung und offener Furcht.
Schultz fuhr fort: «Es sind ziemlich gute Leute da vorne, also brauchen wir uns nicht allzusehr zu sorgen.
Da ist Marker, und ihr wißt, was für ein harter Bursche er ist. Ebenso kennt ihr Valdez und Teresa. Zwei sind von draußen hierhergekommen – die waren stark genug, sich durch den Dschungel zu uns durchzukämpfen, und sie sind bis an die Zähne bewaffnet. Danny und Bisseau sind besonnen und intelligent. Und dann Modesty. Nun ja, ihr habt nicht allzuviel von ihr gehört, seit sie hier ist. Aber wenn Leute wie Kim, Marker und Teresa ihr vertrauen und mitmachen, dann hat das schon etwas zu sagen.»
Schultz zeigte auf den dunkelhaarigen kleinwüchsigen Mann, der vor ein paar Minuten atemlos eingetroffen war. «Nun, Gasparro hier und Teresa fungieren als Meldegänger. So werden wir hier auf dem laufenden gehalten über die Dinge, die sich drüben abspielen.
Gasparro brachte gerade die neueste Nachricht. Sie besagt, daß Paxero und die Spezialen im Großen Haus festgehalten werden. Sie haben die Mestizinnen getötet.
Das zeigt euch, was sie mit uns getan hätten, und sie haben sicherlich auch die gesamte Dienerschaft umgebracht. Die Hunde befinden sich noch in ihrem Zwinger, und keiner kann an sie heran, ohne offenes Gelände zu überqueren. Unsere Leute haben vier Speziale getötet und mindestens einen verwundet, und Modesty hat Damion das Genick gebrochen. Ich vermute, eine Menge von euch Frauen wird das mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen.»
Ein Engländer mit ergrauendem Haar stand auf. Er hieß Thurston und hatte sich in den zwei Jahren seines Aufenthalts in Limbo wegen seiner Ungeselligkeit und der Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit allgemein unbeliebt gemacht. Einstmals hübsch, war er jetzt hager, sein Gesicht war hohl und sein Körper verfallen. Ein paar Wochen lang hatte es so ausgesehen, als müßte er sterben. Er machte davon aber so wenig Aufhebens, daß er in jenen Tagen beliebter war als je zuvor. Höflich begann er jetzt zu sprechen: «Ich war eine Zeitlang Soldat, Schultz. Gegenwärtig scheint die Situation festgefahren. Aber Paxero und die Spezialen besitzen die stärkere Feuerkraft. Nach dem Dunkelwerden können sie das Haus verlassen, die Hunde losmachen und überall, wo sie wollen, Stellung beziehen. Wenn sie sich rundherum verteilt haben, können sie beim ersten Tageslicht alles, was sich in Limbo bewegt, zusammenschießen.»
Es kostete Schultz gewaltige Anstrengung, vertrauenerweckend zu lächeln. «Dazu wollte ich noch kommen», setzte er seine Ansprache fort. «Es besteht auch diesbezüglich kein Anlaß zur Sorge. Die Leute, die von draußen kamen, haben einen Funkspruch abgesandt, und sie erwarten in Kürze militärische Hilfe, die noch lange vor dem Dunkelwerden mit Hubschraubern hier eintreffen wird.»
Modesty lehnte sich gegen die dicke Holzwand der Wäscherei und spähte durch einen der Schlitze, die Danny mit der Machete hineingeschlagen hatte. «Also bekommen wir keine Militärhilfe», stellte sie fest. Willie schüttelte den Kopf. «Wir haben das Funkgerät verloren.»
Marker starrte ihn an. «Mein Gott, das ist ja herrlich.»
Willie warf ihm ein freundliches Lächeln zu. «Ich werde nächstes Mal besser aufpassen.» Er wandte sich an Modesty. «Sie warten auf die Dunkelheit, Prinzessin. Wir müssen es deshalb vorher zu Ende bringen.»
«Ja.» Ihre Stimme klang abwesend. Irgendetwas ganz Bestimmtes an der gegenwärtigen Lage beunruhigte sie, aber sie kam nicht darauf, was es war. Willie schob seinen Gewehrlauf durch einen der Schlitze und zielte versuchsweise auf die oberen Fenster des Großen Hauses. Teresa sah ihm interessiert zu. Einen Augenblick später erklärte sie: «Wir sollten alle Sklaven bewaffnen, mit Spaten und Keulen, und dann einen Massenangriff starten.»
Danny Chavasse, der auf dem Fußboden neben ihr saß, erwiderte: «Wir sind hier nicht bei Außenaufnahmen, carissima. Nichts wäre denen da lieber als die Gelegenheit, ein Massaker zu veranstalten.»
«Okay. Wenn du ein besseres Drehbuch hast, sag es mir.» Die Italienerin umfaßte ihre hochgezogenen Knie und legte den Kopf darauf.
Nun ließ sich Modesty vernehmen. «Teresa, ich möchte, daß du hinunter zu den Schuppen gehst. Schicke Gasparro her, für den Fall, daß wir ihn brauchen. Dann gehst du weiter zu Kim in die Praxis, berichtest ihm von der Lage hier und bringst die Kleidung der Spezialen, die er betäubt hat, hierher. Achte darauf, daß die Wäscherei zwischen dir und dem Haus liegt, bis du weit genug entfernt bist.»
Teresa erhob sich. «Das letzte hättest du dir sparen können, Kleine. Ich war einmal Partisanin in Endziel Salerno.» Sie grinste und ging hinaus.
Immer noch durch den Schlitz spähend sprach Modesty weiter: «Marker, lös mich bitte ab, und Valdez, du löst bitte Willie ab. Wir müssen draußen noch etwas überprüfen.»
Eine Minute später stand sie in dem Winkel, den die L-förmig gebaute Wäscherei bildete, gegen die Wand gelehnt, atmete tief durch und blickte Willie resignierend an. «Ich wollte nur, daß wir eine Weile unter uns sind. Es ist nicht leicht nachzudenken, wenn jeder einen Geniestreich von dir erwartet.»
Er nickte. «Es ist schon ein ziemlich dicker Hund hier.»
«Zu dick.» Sie verzog schmerzlich das Gesicht. «Zu viele Leute, zu viele Einzelheiten, zuviel Unvorhersehbares. Aber wir wollen uns mit den Tatsachen befassen, die wir kennen. Wir müssen das Große Haus noch ausräuchern, bevor es dunkel wird. Das können nur du und ich übernehmen. Mir ist da etwas eingefallen, was vielleicht sehr nützlich ist.» Sie unterbrach sich, machte ein verdutztes Gesicht. «O Gott, jetzt weiß ich wieder, warum ich Teresa hinunter in die Praxis geschickt habe. Ich glaubte, es wäre nur, um sie zu beschäftigen.»
«Etwas anderes?»
«Willie … Paxero wartet nicht nur auf die Dunkelheit. Er steht in Funkkontakt mit dem Erschließungsunternehmen in New Santiago und wartet auf Verstärkungen.»
Willie blickte zum Himmel nach Westen. Die Führungsspitze des Erschließungsunternehmens bestand sicherlich aus ausgesuchten Männern, die Paxeros Geheimnis kannten und den Nachschub organisierten. Da dort über tausend Bauarbeiter lebten, von der Umwelt abgeschnitten, war es gewiß nur eine Sache von wenigen Stunden, eine Horde harter Männer zusammenzutrommeln, die für 1000 Dollar so ziemlich alles taten, was man von ihnen verlangte, und nach Limbo zu fliegen.
Willie überlegte. «Wir können, wenn wir von hier zum Landeplatz wollen, nicht am Haus vorbei. Aber Maude könnte von der anderen Seite des Flusses in etwa einer halben Stunde dorthin gelangen. Die Strömung ist nicht sehr stark, vielleicht zwölf Knoten.»
«Eine Stacheldrahtsperre ist durch den Fluß gespannt, Willie. Ein Stück unterhalb des Landeplatzes.
Wenn sie sich die Hände umwickelt, kann sie sich an der flußabwärts liegenden Seite herüberziehen.» Sie schwieg einen Augenblick, dann schüttelte sie den Kopf. «Aber Maude kann das allein nicht schaffen.»
«Nein, ich habe gerade darüber nachgedacht, Prinzessin. Wenn ich am Südende der Plantage in den Fluß steige, könnte ich in etwa fünf Minuten unten an der Sperre sein. Und ich glaube kaum, daß sie mich vom Haus aus sehen würden. Ich könnte mich mit Kaffeesäcken polstern und mich so vor Kratzern schützen.»
Sie lehnte an der Wand der Wäscherei, das Schnellfeuergewehr im Arm, die langen braunen Beine gespreizt, dürftig bedeckt von dem zerfetzten Baumwollrock, den Kopf abgewandt, den Blick in die Ferne gerichtet. Dann sah sie ihn kurz an und lächelte. «Nein, auf dich kann ich hier nicht verzichten, Willie. Marker oder Valdez müssen hin.»
«Marker ist ein harter Bursche.»
«Das ist er, aber Valdez ist kühler, und das hier muß genau richtig ablaufen. Und wichtiger noch, er spricht Spanisch. Wir wollen den Hubschrauber mit dem Piloten, Willie.» Sie hakte sich bei ihm ein, und zusammen gingen sie wieder zurück zur Tür der Wäscherei. «Ja, genau, das war es, weshalb ich Teresa um die Kleidung der Spezialen schickte.»
Zwei Minuten später erklärte Valdez mit verzerrtem Lächeln: «Bitte glaubt nicht, ich wollte kneifen. Meine tägliche Ration Angst habe ich schon aufgebraucht. Die Sache ist jedoch, daß ich nicht schwimmen kann.» Willie kam hinter der Hausecke vor und rollte eines der großen Wäschefässer vor sich her. «Ich habe eine bessere Idee. Wenn wir das Ding hier richtig auslasten, können Sie sich von der Strömung hinuntertreiben lassen. Außerdem bleiben so Ihre Waffen besser trocken.»
Zehn Minuten später sprach Schultz in dem großen Vorratsschuppen. «Freunde, hört einmal zu. Gasparro brachte gerade eine Meldung von Modesty, und wir haben Arbeit bekommen. Wir benötigen ein paar sehr starke Balken, und ich schlage vor, wir fangen gleich hier an und reißen einen Teil dieser Schuppenwand nieder.»
Maude Tiller zog sich ans Ufer und ließ sich schweratmend fallen. Als sie wieder Luft holen konnte, richtete sie sich auf, saugte an einem Riß am Handgelenk, zog den Stoner-63-Karabiner aus seiner Plastikschutzhülle und begann ihn sorgfältig zu überprüfen.
Zwanzig Minuten später sah sie ein Faß die Flußbiegung heruntertreiben. Es ragte höchstens dreißig Zentimeter aus dem Wasser, und an seinem oberen Rand waren zwei hölzerne Ausleger befestigt, um es am Kentern zu hindern. Als es auf den Stacheldraht traf, löste sie das Seil von ihrer Hüfte, warf das eine Ende davon dem im Faß kauernden Mann zu und holte das seltsame Gefährt an Land. Der Mann reichte ihr seinen 45er Colt und ein Bündel Kleider, das in Ölzeug eingewickelt war, und kletterte dann heraus.
Das nasse, schmutzige, vom Dschungel gezeichnete Mädchen mit dem insektenzerstochenen Gesicht begrüßte ihn. «Ich bin Maude Tiller.»
«Ich bin Valdez» Er wischte sich mit dem Arm über die Stirn und starrte sie an. «Herr Jesus. Ich hätte nicht gedacht, daß es noch so eine wie Modesty gibt.»
«Gibt es auch nicht. Deshalb müssen wir uns ein wenig mehr anstrengen.» Sie brachte ein schiefes Grinsen zustande. Valdez verspürte ein warmes, beflügelndes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Fast glücklich kniete er nieder und begann das Kleiderbündel mit der Handgranate in der Mitte auszupacken.